Es war einmal ein großes Königreich.
Da gab es saftige Wiesen, fruchtbare Felder und reiche Städte und
Dörfer.
In seinem äußersten Winkel war ein dichter Wald mit hohen
Bäumen und wunderbaren Blumen.
Aber niemand wagte sich hinein, denn es hieß, wer es dennoch
versuchte, würde niemals wiederkehren.
„Der Wald ist verhext“, sagten die Leute. „Es wohnen
Trolle darin, wilde Tiere und Riesen." So wurde der Wald gemieden,
und die Mütter erzählten ihren Kindern die unheimlichsten
Geschichten über den Zauberwald um sie davon fern zu halten.
Auch die Amme des Königssohns warnte ihren Schützling vor den
Gefahren, aber je älter der Prinz wurde, desto neugieriger wurde er
auch.
Er war ein großer kräftiger Bursche. Keiner seiner
Spielkameraden konnte es an Stärke mit ihm aufnehmen, und er
hätte sich gar zu gerne mit einem Riesen gemessen.
Aber nie bot sich die Gelegenheit den verbotenen Teil von seines Vaters
Land aufzusuchen. Als er 25 Jahre alt war, starben kurz hintereinander
seine Eltern, und der Königssohn bestieg den Thron.
Mit unerbittlicher Strenge regierte er das Reich, und das Volk
stöhnte unter seinen harten Gesetzen.
Seine Ratgeber hofften eine Frau könne ihn sanfter machen und
drängten ihn zu heiraten: „Ihr braucht eine
Königin“, sagten sie, aber davon wollte der junge König
nichts wissen. Viel zu sehr genoss er die Aufmerksamkeiten der
Prinzessinnen an fremden Höfen und die Hingabe der Frauen in seinem
eigenen Land.
Er spielte mit jeder, war keiner treu, und manche Träne war
seinetwegen schon geflossen. „Ich habe gar keine Zeit für eine
Ehefrau“, pflegte er zu sagen, denn in jeder freien Stunde
frönte er seiner Leidenschaft, der Jagd.
Kein Tier war vor ihm sicher, denn nur eine edle Jagdbeute vermochte ihn
glücklich zu machen.
Aber auch hierbei begann er sich schließlich zu langweilen, und er
sann auf neue Herausforderungen.
Als ihm eines Morgens seine alte Amme begegnete, entsann er sich der alten
Geschichten über Trolle und Riesen.
Seine Freunde und Diener erbleichten als er die Jagdgesellschaft an einem
schönen Herbstmorgen zu dem verwunschenen Wald führte.
Aber der König erlaubte keine Widerrede.
So wand sich eine lange Schlange von Reitern auf dem einzigen Pfad in den
Wald. Zuerst ritten sie unter hellen Laubbäumen dahin, schöne
Blumen säumten den Weg. Aber unmerklich wurde der Weg schmaler, die
Bäume standen dichter. Statt Blumen wuchsen nur noch fahle Pilze auf
dem Waldboden.
Ein Geruch nach Moder durchzog die Luft. Die Luft wurde stickig und
ließ sich schwerer atmen.
Immer öfter schlugen herabhängende Zweige den Reitern ins
Gesicht. Als ein dicker Ast einen der Diener vom Pferd riss, blieben die
ersten Höflinge zurück, natürlich nur unter den Vorwand dem
Verletzten zu helfen, denn der König würde Feigheit streng
bestrafen.
Nadelbäume ersetzten den lichten Laubwald, kaum ein Sonnenstrahl war
mehr zu sehen. Der Weg wand sich in so vielen Kurven, das niemand wusste,
in welche Richtung sie eigentlich ritten.
Plötzlich schreckten Alle auf. Ein leiser, klagender Laut war in der
Ferne zu hören. So leise der Ruf war, Furcht senkte sich in die
Herzen der Männer. Sie wussten selbst nicht warum. „Vielleicht
war es eine Banshee“, flüsterte einer.
„Noch eine solche Bemerkung und wir lassen dich hier ohne Pferd
alleine", rief der König wütend. „Es gibt keine
Totenfee. Das sind Ammenmärchen."
Aber auch er erinnerte sich an die alten Geschichten in denen bereits der
Schrei einer Banshee tödlich sein sollte.
„Vielleicht sollten wir doch umkehren”, wagte ein Minister
vorzuschlagen.
Der König musterte seine Männer. „Wer ins Schloss
zurückkehren möchte, kann das tun", sagte er mit eiskalter
Stimme. Seine Blicke sagten deutlich was derjenige zu erwarten hatte.
Trotz der unausgesprochenen Drohung machten einige Höflinge kehrt.
Vorsichtig ritten die Anderen weiter, Stunde um Stunde. Langsam wurde es
noch dunkler.
Die Nacht brach herein, und selbst der König, sonst so furchtlos,
fragte sich ob er klug gehandelt hatte, eine Nacht hier in diesem
Zauberwald zu verbringen.
Schließlich kamen sie auf eine Lichtung.
Große Felsblöcke schützten sie hier vor dem kalten
Nachtwind, auch Feuerholz gab es genug, sodass der König befahl das
Nachtlager aufzuschlagen.
Die Diener entfachten ein Feuer und bereiteten eine Mahlzeit. Dann
hüllten sich Alle in ihre Decken, aber niemand vermochte zu
schlafen.
Überall um sie her wisperte und raschelte es, glühende Augen
schienen sie anzustarren. Und noch einmal vernahmen sie die unheimliche,
klagende Stimme.
Der König schaute angestrengt in die Dunkelheit. Bewegten sich nicht
die Felsbrocken? Im selben Augenblick warf er seine Decke beiseite, sprang
auf und zog sein Schwert.
„Trolle!", konnte er gerade noch rufen, als plötzlich aus
dem Dunkeln heraus eine schwere Holzkeule auf ihn niederschlug. Der
König duckte sich, wich geschickt aus und stieß einem riesigen
Troll sein Schwert in den Bauch. Mit einem Ruck riss er die Waffe wieder
heraus und wandte sich um. Einer seiner Ritter lag bereits tot auf dem
Boden während die anderen weiterhin auf die verbliebenen
Eindringlinge einhieben. Ein Knappe stürzte mutig vor, aber sein
schmaler Dolch wurde von einem großen Knüppel beiseite gefegt,
sodass er schutzlos zu Boden fiel. Doch bevor der zweite Schlag erfolgen
konnte, verwundete ein Krieger den Troll so am Bein, dass er strauchelte
und wütendes Gebrüll ausstieß. Obwohl er wild mit seiner
Keule um sich schlug, gelang es den Rittern ihn zu überwältigen.
Schwer atmend blickten die Männer sich an.
„Morgen werden wir den ganzen Wald erforschen", verkündete
der König.
„Und wenn wir jeden einzelnen Baum niederbrennen müssen,
niemand greift ungestraft den König an".
Er vergewisserte sich, dass die Wachen ihre Pflicht taten, und
schließlich gelang es ihm einzuschlafen.
Als er am Morgen erwachte, fand er sich allein auf der Lichtung, von
seinem Gefolge gab es keine Spur.
Aber er hatte keine Zeit nach seinen Männern zu suchen. Ein
gleitendes Geräusch ließ ihn herumfahren.
Auch der furchtloseste Mann wäre bei diesem Anblick erschrocken. Aus
dem Wald glitt die größte Schlange, die der König je
gesehen hatte.
Als sie sich zischend aufrichtete, überragte sie ihn bei weitem. Aus
spitzen Zähnen, so groß wie Metzgermesser, tropfte eine
grünliche Flüssigkeit.
Ihr Angriff erfolgte so schnell, dass der König sich nur noch zur
Seite werfen konnte. Im Fallen zog er sein Schwert, aber klirrend prallte
es von den Schuppen ab.
Dann schlang sich eine Schwanzspitze um seinen Knöchel und zog ihn
unbarmherzig näher.
Auf einmal war ein seltsames goldenes Flimmern in der Luft.
Scheinbar aus dem Nichts tauchte eine schlanke Frauengestalt auf. Ein
weiches Licht umfloss sie, langes dunkles Haar wallte über ihren
Rücken, und sie war so schön, dass der König für einen
Moment die Schlange vergaß und nur die Frau ansah.
Um sie herum tanzten Schmetterlinge in allen Farben und Größen,
manche saßen auch in ihrem Haar und auf ihrem Kleid wie ein
exotischer Schmuck.
Sie erhob eine Hand, und die Schlange wich zurück, ein kurzes
Zischen, ein Rascheln, und sie war zwischen den Büschen
verschwunden.
Der König erhob sich. „Hab Dank", sagte er unsicher, aber
die Frau lächelte nur. „Wer bist du?" fragte er, immer
noch um Fassung ringend.
„Warum habe ich dich noch nie gesehen? Und weißt du, wo mein
Gefolge ist?" „Du bestehst ja nur aus Fragen", lachte die
Schöne.
Und so begann es. Der König blieb bei der Waldfee, und für eine
Zeit bestand ihre Welt nur aus der kleinen Lichtung, aus Schmetterlingen
und Blumen, und sie waren zufrieden ihr Glück in den Augen des
Anderen zu finden.
Aber eines Tages meinte der König, er müsse in seinem Reich nach
dem Rechten sehen.
„Ich werde Alles regeln, einen Minister mit den
Regierungsgeschäften beauftragen, und dann kehre ich zu dir
zurück", versprach er. „Wir können abwechselnd hier
und in meinem Schloss leben".
In dieser Nacht schlief die Fee nicht. Emsig webte sie eine Schärpe,
und sie webte ihre Liebe hinein, ihre Sehnsucht und ihr Vertrauen.
Sie band sie am nächsten Morgen dem König um den Leib und bat
ihn sie um keinen Preis herzugeben. „Sonst vergisst du mich",
flüsterte sie. Der König lachte über ihre Worte, aber er
versprach die Schärpe niemals abzulegen.
Dann ritt er davon.
Nun lebte in seinem Königreich auch eine Hexe. Diese wäre gar zu
gern Königin geworden, und nun sah sie ihre große Gelegenheit
gekommen.
Sie verwandelte sich auf der Stelle in eine wunderschöne Prinzessin.
„Ich muss nur beim König vorgelassen werden", dachte sie.
„Dann habe ich schon gewonnen." Und zur Sicherheit verwandelte
sie sich in eine noch schönere Prinzessin. Aber sie fand sich immer
noch nicht schön genug. „Ich muss absolut sicher gehen",
dachte sie. Und sie verwandelte sich mit jedem Schritt in eine immer noch
schönere Prinzessin.
„So, nun wollen wir doch einmal sehen", dachte sie als sie bei
dem Königsschloss anlangte.
Mit zuckersüßer Stimme bat sie um Einlass. Der Wachposten war
von ihrer Erscheinung so geblendet, dass er nur ein dümmliches
Lächeln zustande brachte.
Genauso erging es dem Haushofmeister und dem Kammerdiener, und bald stand
die Hexe vor dem König.
Auch der König war von ihren Reizen sehr angetan, aber ihr ging es ja
nicht darum eine seiner zahlreichen Geliebten zu werden, nein, sie wollte
mehr.
Und sie bot ihm Macht und Ruhm. Sie bot ihm den Sieg über die beiden
benachbarten Königreiche für die Schärpe, die er als
Gürtel trug.
Flüchtig dachte der König an sein Gelöbnis.
„Eigentlich ist es doch Unsinn", dachte er. „Warum sollte
ich nicht mehr an die Waldfee denken wenn ich den Gürtel nicht trage.
Und der Preis ist wahrlich unermesslich. Ich werde der mächtigste
Herrscher weit und breit werden."
Aber, konnte er der Fremden trauen?
„Beweise deine Behauptung“, forderte er. „Sobald ich
meinen stärksten Gegner geschlagen habe, erhältst du den
Gürtel.“
Er zog in den Krieg, besiegte seinen Nachbarn, gab der Prinzessin die
Schärpe, zog abermals aus und unterwarf auch das andere
Nachbarland.
Die falsche Prinzessin aber band sich die Schärpe um den Leib, und
nun war sie nicht nur wunderschön, sie erweckte Liebe, Sehnsucht und
Vertrauen, und am Tag seiner Heimkehr aus dem Krieg bat der König sie
um ihre Hand.
Die Waldfee war vergessen.
Aber nach drei Jahren hatte die junge Königin dem Reich noch keinen
Erben geschenkt, und am Hof und im ganzen Reich wurde getuschelt.
Niemand kannte die Wahrheit. Niemand wusste, dass den Herrscher nachts im
Schlafgemach ein unerklärlicher Widerwille gegen seine Gemahlin
erfasste, denn die Hexe musste sich von der Zofe mit ihren Gewändern
auch die Schärpe, die doch des Königs Liebe erweckte, abnehmen
lassen.
Sie wusste wohl, würde ihr Ehemann das Gewebe berühren,
wäre auch seine Erinnerung an die Fee wieder da.
So versteckte sie Nacht für Nacht den Feengürtel, und der
König wusste nicht warum er seine Gemahlin am Tag liebte und
begehrte, es ihn aber wie ein eiskalter Hauch anwehte wenn sie alleine
waren.
Die Hexe störte das nicht. Sie hatte Macht und Reichtum, und alle
Männer des Hofes lagen ihr zu Füßen.
Ihre Verschwendungssucht kannte keine Grenzen. Tag und Nacht war ein Heer
von Dienern unterwegs um ihre Wünsche zu befriedigen: Seide und
Stoffe aus feinsten Spinnenfäden, Edelsteine aus fernen Ländern,
nichts war kostbar genug.
Ihre Lieblingsspeise wurde ein Gericht aus Nachtigallenzungen, sodass
diese Vögel im Reich ihres Mannes bald ausgerottet waren.
Da wurden weitere Diener in die Nachbarländer ausgesandt um ihre
Leibspeise zu beschaffen.
Der König kümmerte sich nicht um die Launen seiner Frau.
Doch eines Tages ließ sich sein Schatzmeister bei ihm melden.
„Majestät“, sagte er ängstlich „Euer
Staatsschatz nimmt bedenklich ab. Ihr müsst Eure Ausgaben
verringern.“
Der König bekam einen Wutanfall: „Dann werden wir eben die
Steuern erhöhen“, schrie er. „Sorge für Geld oder du
bist die längste Zeit mein Schatzmeister gewesen.“
Der Schatzmeister gehorchte, und die Abgaben wurden verdoppelt.
Die Unruhe im Volk wuchs, Bauern und Handwerkern blieb kaum das
Nötigste um zu überleben.
Hungrig saß eines Tages ein armer Tagelöhner am Bach und
versuchte für sich und seine zahlreichen Kinder eine Mahlzeit zu
angeln.
Da sah er zwischen den Bachkieseln etwas leuchten. Er holte das
Klümpchen aus dem Wasser- und tanzte wie närrisch herum. Was er
in der Hand hielt war reines Gold.
So schnell er konnte rannte er zum Kaufmann und seit langer Zeit konnte
seine Familie sich wieder einmal satt essen.
Er erzählte seinen Freunden und Nachbarn von dem Fund, und bald zogen
Scharen von Menschen an den Fluss. Viele fanden ein bisschen Gold und
kauften Nahrung und Kleidung für ihre Familien.
Natürlich dauerte es nun nicht mehr lange bis der König und
seine Gemahlin davon hörten.
„Du lässt diese Schätze deinen Bauern?“ schrie sie
ihn an. „Das Gold gehört mir, hörst du, mir! Und ich will
nicht nur ein paar Klümpchen. Ich will Alles, die ganze
Mine.“
Der Fluss führte nur wenig Gold, die Hauptader lag in dem Hügel,
auf dem er entsprang.
Stollen wurden in den Berg getrieben, aber die Erde war zu weich, immer
wieder stürzten die Gänge ein.
Da ließ der König kurzerhand den Hügel abtragen. Achtlos
wurden Erde und Geröll auf die umliegenden Wiesen gekippt.
Und Tonne um Tonne wanderte Gold in des Königs Schatzkammer.
Es reichte nicht lange.
Die Königin befahl alles Geschirr fort zuwerfen. Sie und der gesamte
Hofstaat speisten nur noch von goldenen Tellern. Ihre Waschschüssel,
ihre Badewanne, ja selbst Fußschemel mussten von nun an aus Gold
sein.
Ihre Gier nach Reichtum nahm von Tag zu Tag zu, und jeden Tag
bedrängte sie ihren Gemahl mehr Gold herbei zu schaffen.
Da ließ der König in jedem Fluss suchen, in jeden Berg einen
Stollen graben, und wo das kleinste Stückchen Gold gefunden wurde,
mussten die Arbeiter Gold sieben und Bergwerke bauen.
Die Fronarbeit wurde wieder eingeführt, und die Bauern hatten immer
weniger Zeit ihre Felder zu bestellen. Tag und Nacht mussten dem
König Arbeitskräfte zur Verfügung stehen.
Bald waren weite Teile von des Königs Land verödet. Die Tiere
fanden keine Nahrung mehr und zogen in die Nachbarländer.
Nur noch selten hörte man einen Vogel zwitschern, keine
Schmetterlinge tanzten mehr über den Wiesen, die Seen waren
trübe, und die Fische starben.
Die Bergleute benötigten Holz um die Stollen abzustützen,
Transportwege mussten geschaffen werden, sodass ganze Waldstriche gerodet
wurden.
Die Königin interessierte sich nur für das Gold im Reich ihres
Mannes. Was bedeuteten ihr ein paar Wiesen, Bäume oder Tiere?
Sie war viel zu sehr beschäftigt Kleider zu probieren, ihren Schmuck
zu bewundern und sich neue, seltene Gerichte auszudenken.
In diesen Tagen verlangte sie Lerchenherzen auf Lotusblättern, aber
inzwischen mussten die Diener weit reisen um ihre Wünsche zu
erfüllen. Denn die Könige der Nachbarländer weigerten sich
eine Massenjagd auf Vögel zu veranstalten.
Der König aber wurde immer einsamer und ruheloser.
An einem Morgen, nach einer schlaflosen Nacht, ging er sehr zeitig in die
Gemächer seiner Frau. Der König hatte eingesehen, dass die
maßlose Verschwendung ein Ende nehmen müsse und wollte sie zu
einem Ausritt auffordern um ihr den Zustand seines Reiches zu zeigen.
Die Zofe war gerade dabei die Königin anzukleiden. Eben schlang sie
ihr einen breiten, gewebten Gürtel um die Hüfte, als der
König eintrat.
Mit kurzen Worten schickte er das Mädchen fort.
Die Hexe erschrak und streckte abwehrend die Arme aus. Aber es war zu
spät. Durch die Magie des Feengürtels angezogen, legte der
Herrscher die Arme um seine Frau, berührte die Schärpe -- und
erinnerte sich.
Er sah auf einmal Wald und Schmetterlinge und eine blasse, aber
wunderschöne Frau vor sich. Er glaubte den Duft von Blumen zu
riechen, und ohne die Königin weiter zu beachten, stürzte er aus
dem Zimmer.
Wie gehetzt stürmte er in den Stall. Ehe sich die schlaftrunkenen
Pferdeknechte von ihrem Strohlager aufrappeln konnten, hatte er schon
selbst sein Pferd gesattelt und jagte in Richtung Zauberwald.
Ungeduldig trieb er sein Pferd den schmalen Pfad entlang. Endlich sah er
die Lichtung vor sich.
Aber was war das? Zunächst glaubte er sich verirrt zu haben. Auf der
Lichtung erhob sich ein himmelhoher, gläserner Berg.
Aber der König hatte sich nicht verirrt. Er rief nach seiner Fee,
doch niemand antwortete, kein goldenes Flirren kündigte ihr
Erscheinen an.
Suchend näherte er sich dem Glasberg. Da erhielt er einen derben
Schlag. Ein schwarzer Teufel stand vor ihm und stieß ihn
zurück. Der Herrscher zog sein Schwert und schlug nach dem Teufel,
aber das Schwert fuhr durch ihn hindurch wie durch Luft ohne Schaden
anzurichten.
Gleichzeitig tauchten weitere Teufel auf. Sie griffen nicht an, sie
verfolgten ihn nicht, aber sie ließen ihn nicht in die Nähe des
Glasberges. Und sein Schwert war machtlos.
Nach vielen vergeblichen Versuchen gab der König erschöpft auf.
Müde zündete er ein Feuer an und starrte auf den Glasberg, wie
er in der Abendsonne erst rosig leuchtete, dann immer dunklere Töne
annahm.
Davor tanzten die Teufel, und schienen ihn höhnisch anzugrinsen.
Stunde um Stunde saß der König am Feuer. Ab und zu fielen ihm
die Augen zu, aber immer wieder schreckte er hoch. Als er wieder einmal
die Augen aufriss, saß einer der Teufel an seiner Seite.
„Weißt du warum du uns mit dem Schwert nicht besiegen
kannst?" fragte er.
Der König schüttelte nur den Kopf.
„Wir sind nicht körperlich. Wir sind deine bösen Taten und
deine hässlichen Gedanken. Solange es uns gibt, kannst du einen
Glasberg nicht überwinden."
„Und was soll ich tun?" fragte der König, aber der Teufel
war schon verschwunden. Grübelnd saß der Herrscher die ganze
Nacht am Feuer.
Als der Morgen graute, stieg er auf sein Pferd und ritt zu seinem
Schloss.
Zur Verwunderung und Freude nicht nur der Minister und Höflinge hob
er all die grausamen Gesetze auf, die er nach seines Vaters Tod erlassen
hatte.
Er ließ die Kornspeicher öffnen und gab den hungernden Bauern
soviel, dass es bis zur nächsten Ernte reichte. Das Volk jubelte,
Viele liefen zum Palast und riefen seinen Namen, aber er wollte keinen
Dank hören, sondern schlich sich heimlich fort und ritt wieder zu dem
Zauberwald.
Unsicher näherte er sich dem Glasberg.
Verschwommen sah er noch ein paar Teufel, aber sie bewegten sich langsam
und hinderten ihn nicht mehr an den Berg heran zu kommen.
Dreimal ging er um den Berg herum, aber er fand keinen Eingang. Die
Oberfläche war glatt und hart, es war unmöglich den kleinsten
Halt zu finden.
Da nahm der König, der niemals auch nur eine Minute körperlich
gearbeitet hatte, sein kostbares Schwert und begann Stufen in den Berg zu
schlagen. Es war eine mühsame Arbeit, aber sie zeigte Erfolg. Nach
ein paar Stunden konnte er bereits ein Stück hinaufklettern. Da aber
packte ihn eine starke Hand und riss ihn zurück. Unsanft landete er
auf dem Erdboden.
Wütend schaute er sich um. Vor ihm stand ein Riese, sichtlich bereit
ihn wieder wie ein Insekt vom Berg zu pflücken und auf die harte Erde
zu werfen.
Aus alter Gewohnheit griff der König zum Schwert, aber der Riese
lachte nur, und der Herrscher zog die Hand schnell zurück.
„Daran tust du gut“, sagte der Riese.
„Ich kann dich mit einer Hand zerdrücken, während du mir
nichts anhaben kannst. Ich bin der Beschützer der Feenprinzessin auf
dem Glasberg, und ich werde nicht erlauben, dass du sie noch einmal
verletzt."
„Aber ich will ihr doch gar nicht wehtun, ich erinnere mich wieder
an sie. Ich bin gekommen um sie in mein Reich zu holen."
Der Riese blieb unerbittlich: „ Weißt du überhaupt wie
der Glasberg entstanden ist? Als meine Herrin erkannt hatte, dass du sie
verraten hast, begann sie zu weinen. Sie konnte nicht mehr aufhören
zu weinen, und so groß war ihr Kummer, dass ihre Tränen fest
und hart wurden. Und ihre zu Glas gewordenen Tränen häuften sich
aufeinander, der Hügel wurde höher und höher bis er zu dem
Berg wurde, den du hier siehst. Auf dessen Spitze wohnt sie nun.
Du hast ihre Liebe deiner Gier nach Macht und Ruhm geopfert. An mir kommst
du nicht vorbei."
Dem König blieb nichts anderes übrig als abermals
zurückzuweichen.
Ärgerlich stapfte er durchs Gras und grübelte nach wie er den
Riesen überlisten könnte.
Dann dachte er an die Teufel. Offensichtlich wurde der Berg von Geistwesen
bewacht, die nur durch seine Handlungen hervorgebracht waren.....
Ein Gedanke durchzuckte ihn, und er warf sich auf sein Pferd. So schnell
er konnte, jagte er zum zweiten Mal zu seinem Schloss.
Der Hofstaat schüttelte die Köpfe als er, ohne sich mit seinen
Ministern zu beraten, Boten an die besiegten Nachbarn schickte und den
beiden Herrschern Thron und Reich zurückgab. Er ließ sich auf
keine Gespräche ein, befahl sein Land weiter gut zu verwalten und
kehrte in den Wald zurück.
Der Riese war tatsächlich verschwunden.
Ängstlich begann der König erneut den Anstieg, aber keine Hand
zog ihn hinunter. Dafür wurde der Weg immer gefährlicher, der
Berg immer steiler, und so sorgfältig er die Stufen auch schlug, mehr
als einmal drohte er in die Tiefe zu stürzen.
Dazu kam allmählich bleierne Müdigkeit, der Schlafmangel und die
schwere Arbeit zehrten seine Kräfte auf.
Aber tapfer kämpfte er sich weiter bis er vollkommen ermattet auf dem
Gipfel ankam. Nach einigen Minuten raffte er sich auf und schaute sich um,
sah einen wunderschönen Garten mit Bäumen, Blumen und
Vögeln. In der Ferne hoben sich die Umrisse eines Schlosses gegen den
Himmel ab.
Aber es war seltsam ruhig in dem Garten, die Vögel sangen nicht, kein
Lufthauch bewegte das Gras.
Der König machte sich auf den Weg ins Schloss. Das Tor stand offen,
niemand hinderte ihn daran einzutreten.
Diener huschten vorbei, aber keiner sprach, keiner wollte seine Frage nach
der Feenprinzessin beantworten.
So wanderte er durch mehrere Säle.
Schließlich fand er sie.
Bleich und still saß sie in einem Sessel.
Der König wollte auf sie zustürzen, ihre Hände nehmen, aber
dann blieb er stehen. Teilnahmslos begrüßte sie ihn,
höflich, ja, aber ohne Wärme, und er stellte fest, dass sie ihn
nicht erkannte.
Sie erinnerte sich nicht mehr!
Vergeblich erzählte er ihr wie sie sich kennen gelernt hatten, wie er
sich hatte betören lassen ihren Gürtel her zu geben, ja er
zeigte ihr, dass er ihn wieder trug, aber offensichtlich hatte das Gewebe
seine Magie verloren. Liebe, Vertrauen und Sehnsucht waren daraus
geflohen. Es war nur noch ein Stück Stoff.
Von all den Anstrengungen erschöpft, schlief er schließlich
ein. Im Traum erschien ihm die Fee wie er sie zuerst gesehen hatte, jung,
schön, fröhlich, von Schmetterlingen umflattert. Er hörte
ihr Lachen, es klang wie Musik. Und er roch den Duft der Blumen und des
Waldes…..
Als er aufwachte, war es Tag. Diener brachten ihm Frühstück,
aber niemand sprach mit ihm. Noch einmal versuchte er vergeblich die
Erinnerung der Fee zu wecken. Ihr leerer Blick tat ihm weh, und er ging in
den Garten. Vielleicht würde sie sich über einen Strauß
Blumen freuen.
Wieder war er überrascht wie still es hier war. Warum bewegte sich
nichts?
Sein Traum fiel ihm ein. Unwillkürlich musste er lächeln als er
daran dachte, dass er den Schmetterling in ihren Haaren zunächst
für ein Schmuckstück gehalten hatte.
Schmetterling- Das war es. Wo waren die Schmetterlinge?
Nicht einer schaukelte durch den prächtigen Garten.
Undenkbar, dass sie sich von ihren Lieblingen getrennt hatte.
Sein Herz schien auf einmal wie ein Stein in der Brust zu liegen.
Waren auch die Schmetterlinge geflohen?
Oder hatte sein Verrat sie getötet?
Aber nun wusste er was er zu tun hatte, und neue Hoffnung strömte in
sein Herz. Einen traurigen Blick warf er noch auf seine Fee.
„Alles wird gut", flüsterte er, dann begann er den
gefährlichen Abstieg. Es war als wollte der Glasberg den Herrscher
abschütteln. Wieder und wieder musste er rasten und neue Kräfte
sammeln.
Als er endlich auf dem sicheren Erdboden stand, zitterte er am ganzen
Leibe. Aber er gönnte sich keine Ruhe.
So schnell er konnte jagte er nach Hause und gab den Befehl jede Goldsuche
zu unterbinden, die Wiesen und Teiche zu säubern und die Wälder
aufzuforsten.
Er wusste, dass er sich auf seine Minister verlassen konnte und ritt
weiter in das benachbarte Königreich.
Dort lebte Maximilian, ein schon älterer, weiser Herrscher. Wie froh
war der König nun, dass er sich mit seinen Nachbarn ausgesöhnt
hatte.
Spät am Abend erreichte er den fremden Königshof. Müde
ließ sein Pferd den Kopf hängen, und auch der junge König
war am Ende seiner Kräfte. Erstaunt empfing Maximilian seinen
unerwarteten Gast. Als er sah in welchem Zustand sein Nachbar war,
drückte er ihn wortlos in einen Sessel am Feuer, gab Auftrag sein
Pferd zu versorgen und reichte dem jungen König mit eigener Hand
einen Becher Wein.
Die ganze Nacht saßen die beiden Herrscher zusammen. Als der Morgen
graute, waren die beiden Männer Freunde geworden, und der
Jüngere wusste, was er zu tun hatte.
Kein Diener wurde beauftragt, er selbst lief den ganzen Tag über die
blühenden Wiesen seines Freundes und fing die schönsten
Schmetterlinge.
Vorsichtig um sie nur ja nicht zu verletzen, setzte er sie in einen aus
Seidenbändern geflochtenen Korb.
„Keiner der Schmetterlinge darf sterben“, hatte Maximilian ihn
gewarnt. „Wenn du nicht Alle lebend zu deiner Fee bringst, war alle
Mühe vergebens.“
Dankbar drückte der junge König seinem Freund die Hand.
Dann eilte er heim und erkletterte zum zweiten Male den Glasberg.
Die Hoffnung gab ihm Kraft, und die Angst die Schmetterlinge könnten
sterben, beschleunigte seine Schritte.
Endlich angekommen, eilte er sofort ins Schloss.
Er legte den Korb der Fee zu Füßen und öffnete den Deckel.
Da schwirrte es in allen Farben und Größen, die Falter
umtanzten die bleiche Frau, aber einer blieb auf dem Boden des Korbes
liegen und rührte sich nicht.
Verzweifelt blickte der König auf das Tier.
„Bitte, stirb` nicht“, flehte er.
Vorsichtig hauchte er den Schmetterling an und glaubte das Zittern eines
Fühlers zu bemerken. Ohne das Tier zu berühren, legte er seine
Hände darüber um ihm etwas Wärme zu geben. Länger als
eine Stunde saß er regungslos da – und auf einmal bewegte der
Schmetterling einen Flügel, etwas unsicher flatterte er auf und
setzte sich wie ein prächtiger Haarschmuck auf die Fee. Da hob sie
den Kopf und als sie den König ansah, lag Erkennen in ihrem Blick.
Glücklich schloss er sie in seine Arme. Von den Schmetterlingen
begleitet, machten sie sich an den Abstieg, der dem König jetzt gar
nicht mehr gefährlich vorkam.
Er hob seine Feenprinzessin auf sein Pferd, und bald tauchte sein Palast
vor ihnen auf.
Als bekannt wurde, dass die bisherige Königin eine Hexe war, sollte
sie hingerichtet werden, aber der König begnügte sich damit sie
aus seinem Reich zu verbannen.
Sobald wie möglich heiratete er seine Fee, und sie wurden sehr
glücklich.
Nach einem Jahr gebar die junge Königin einen wunderschönen
Knaben, und nach einem weiteren Jahr wurde ihnen eine Tochter geschenkt.
Der Jubel am Hof und beim Volk war unermesslich, aber manchmal sehnte sich
die neue Königin nach ihren Tieren, Pflanzen und magischen
Geschöpfen. Dann sattelte sie heimlich ein Pferd und ritt erst
alleine, später mit ihren Kindern in den Zauberwald, und ihr Ehemann
hatte auch gar nichts gegen ihre Streifzüge einzuwenden. Denn solange
die Schmetterlinge im Palastgarten flatterten, kehrte sie immer wieder zu
ihm zurück.